Podcast: Jim (22) aus Immenstadt ist transsexuell: "Die Flucht nach vorne funktioniert für mich am besten"

15. Dezember 2016 15:22 Uhr von Holger Mock
Katharina Burkhard

Jim Ismael Schmid aus Immenstadt im Allgäu kam biologisch in einem Frauenkörper auf die Welt. Als Mädchen hat er sich trotzdem nie gefühlt. Den Namen Isabella, den ihm seine Eltern gegeben haben, hatte er bereits im Alter von zwei Jahren abgelegt.

Jim Schmid wirkt am großen Wohnzimmertisch seiner Eltern etwas verloren. Er hat schöne, ausdrucksstarke Augen und erkennbare Grübchen. Die schmale Statur ist auch trotz des braunen, übergroßen Sweaters zu erkennen. Die Ärmel sind hochgekrempelt und man kann seine dunklen Armhaare sehen. Jim zupft noch kurz an seiner Cap, entspannt sich dann und sucht Augenkontakt.

Jim hatte eine schöne Kindheit, wäre diese Sache nicht gewesen

Ich bin ein Junge. Das stellt Jim schon im Kindergarten klar. Seine Eltern, die Ärzte und auch Kindergärtnerinnen wussten nichts über dieses Thema. Jim selbst konnte es sich auch nicht erklären. Das einzige, was er wusste, war: Ich bin ein Junge. Man kann dieses Gefühl nicht ausblenden, nicht verdrängen. Denn der Name spielt immer eine große Rolle. Genauso, ob man mit er oder sie angesprochen wird, erzählt Jim. Er hatte im Kindergarten und auch später in der Schule viele Freunde. Es störte niemanden, ob er nun ein burschikoses Mädchen war, oder was genau anders war an ihm. Bis zur Pubertät spielt das Körperliche keine besonders große Rolle. Aber dann: Das war schon ein Schlag. Man ist überzeugt, dass man ein Junge ist und dann sagt einem der eigene Körper etwas Anderes. Er wusste sich nicht anders zu helfen, bindet seine wachsenden Brüste mit Frischhaltefolie ab. Einfache Dinge wie schwimmen oder im Sommer mit T-Shirt rausgehen wurden für ihn unmöglich. Gedanken der Unsicherheit verbinden sich mit Unverständnis dem eigenen Körper gegenüber. Die vielen offenen Fragen von sich und seinem Umfeld mehren sich. Jim bekommt Depressionen, zieht sich stark zurück und die vielen Freunde werden überschaubar.

Transgender, transident - was ist das nun genau?

Transsexualität hat nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun, sondern ist eine Identitätsfrage. Vereinfacht: Das biologische ist ein anderes als das empfundene Geschlecht. Rund 60.000 -100.000 Menschen sind in Deutschland offiziell davon betroffen. Es gibt genug Horrorgeschichten, die mit diesem Thema einhergehen. Morddrohungen, Schläge, Suizid der Betroffenen oder Isolation durch die eigene Familie. Die Männer oder Frauen, die im falschen Körper geboren worden sind und sich dazu entschließen, dies zu ändern, beginnen meist mit der Einnahme von Hormonen. Diese müssen sie ein Leben lang nehmen. Liest man sich in dieses Thema hinein, ist man teilweise erstmal perplex. Denn dort fallen Begriffe wie Neopenoid, Erektionsprothese oder transsexueller Lebenslauf. Das Empfinden, nicht oder nicht mehr dem im Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht zuzugehören, muss seit mindestens drei Jahren vorhanden sein. Und dann bitte ausführlich beschrieben werden. Nach der Umwandlung ist man unfruchtbar, verliert aber beispielsweise nicht die Fähigkeit, einen Orgasmus bekommen zu können. Bevor man sich diesem Eingriff überhaupt unterziehen kann, müssen einem mehrere Therapeuten bestätigen, dass man stabil ist. Jim schmunzelt und wirkt nachdenklich: Ich kann heute sagen, dass ich erst stabil war, nachdem die medizinischen Eingriffe stattgefunden haben.

Wie Isabella zu Jim wird, obwohl sie es schon immer war

Das erste Mal in Mädchen verliebt sein. Das passiert auch Jim. Ich habe ihr erstmal nicht erzählt, dass ich ein Mädchen bin. Für mich war das keine Lüge, ich fühlte mich ja als Junge. Mit den weiblichen Freundinnen kam es nie weit, denn sie waren hetero und wollten nicht als Lesbe abgestempelt werden. Mit 15 hat Jim dann einen schwulen Jungen kennengelernt und sich in ihn verliebt. Hetero und schwul finde ich doofe Begriffe, mir geht’s um den Menschen und nicht ums Geschlecht. Seiner Meinung nach müsse man diese Gefühle gar nicht definieren oder gar in eine Box stecken. Trotz häufiger Akzeptanz verlief die Pubertät schwierig, denn Jim lehnte seinen Körper, als dieser noch weiblich war, komplett ab, lässt niemanden an sich heran. Mit 16 hat er die Hormon-Behandlung angefangen. Er pendelte vom Allgäu nach München, trifft Therapeuten, geht zum Endo-Kynologen (Hormonarzt) und schließt sich einer trans-Gruppe in München an. Seine Eltern standen auch in dieser schwierigen Zeit immer hinter ihm. Ein Jahr nach Behandlungsstart ein erster Erfolg: Mit 17 sprießen die ersten Barthaare. Der ganze Vorgang, die Umwandlung, die Operationen - dauern insgesamt fast drei Jahre lang. Komplett abgeschlossen ist es noch nicht. Korrektur-OPs können noch folgen, das Thema sei aber nicht mehr so alltäglich im Kopf präsent.

Die Zukunft als Jim

Was sich seitdem alles verändert hat, seitdem die Hülle zum Inneren passt, wollen wir wissen. Der Mensch bleibt schließlich derselbe. Man kann wieder schwimmen gehen oder in den Urlaub fahren und es einfach genießen. Ich kann meinen Namen sagen ohne nachdenken zu müssen. Und ich kann im Stehen pinkeln, lacht Jim. Nun, da Jim fertig ist, wird er von jedem akzeptiert, vor allem aber von sich selbst. Ich bin selbstbewusster geworden, sagt Jim mit fester Stimme und rutscht auf dem Wohnzimmer-Sofa zurück in eine bequeme Position. Er hat für sich festgestellt, dass Menschen damit besser umgehen können, wenn er das auch tut.

Jim ist seit einem Jahr und vier Monaten vergeben. Mit seinem Freund plant er, zusammenziehen. Und sonst? Arbeiten, leben, mal schauen, wohin es mich verschlägt. Ganz normal eben.