Prozess: S-Bahn-Unglück von Schäftlarn: Gericht spricht Urteil gegen Lokführer

7. März 2024 15:00 Uhr von Redaktion all-in.de/dpa
Der wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagte Mann (Mitte) steht vor Prozessbeginn mit seinen Anwälten Stephan Beukelmann (r) und Mariana Sacher im Gerichtssaal. Zwei Jahre nach dem tödlichen S-Bahn-Unglück im oberbayerischen Schäftlarn muss sich ein Triebwagenführer vor dem Amtsgericht München verantworten.
Der wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagte Mann (Mitte) steht vor Prozessbeginn mit seinen Anwälten Stephan Beukelmann (r) und Mariana Sacher im Gerichtssaal. Zwei Jahre nach dem tödlichen S-Bahn-Unglück im oberbayerischen Schäftlarn muss sich ein Triebwagenführer vor dem Amtsgericht München verantworten.
picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Zwei S-Bahnen sind vor zwei Jahren im oberbayerischen Schäftlarn zusammengeprallt. Ein junger Mann starb, dutzende Menschen wurden verletzt. Einer der Lokführer wurde jetzt zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Gut zwei Jahre nach dem tödlichen S-Bahn-Unglück im oberbayerischen Schäftlarn hat ein Schöffengericht in München am Donnerstag einen Lokführer zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt - unter anderem wegen fahrlässiger Tötung. 

Der Lokführer habe grob pflichtwidrig gehandelt, sagte die Richterin des Schöffengerichts, Nesrin Reichle, am Donnerstag. Er habe sich zwar nicht an den Unfall erinnern können, sagte die Richterin. Aber: "Er hat eingeräumt, dass es ein fataler Fehler war." Seinen Fehler habe er vollumfänglich anerkannt, sein Geständnis sei glaubhaft gewesen.

Staatsanwaltschaft forder zwei Jahre und neun Monate Haft für Lokführer

Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor zwei Jahre und neun Monate Haft für den Lokführer gefordert. Der Triebfahrzeugführer habe gröbst pflichtwidrig gehandelt, sagte die Staatsanwältin. Sie warf dem Angeklagten neben fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in 51 Fällen auch Gefährdung des Bahnverkehrs vor. Es sei ein Sachschaden von sieben Millionen Euro entstanden. Zu seinen Gunsten wertete sie sein Geständnis und sein aufrichtiges Bedauern. 

Der Mann hatte sich am Donnerstag in seinem letzten Wort erneut unter Tränen für seine Fehler entschuldigt. Sein Verteidiger Stephan Beukelmann plädierte auf eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Sein Mandant habe Fehler gemacht, er stelle sich jedoch seiner Verantwortung.  

S-Bahn-Unglück ereignet sich am 14. Februar 2022 mitten im Berufsverkehr in Schäftlarn

Das schreckliche S-Bahn-Unglück ereignete sich mitten im Berufsverkehr am Valentinstag, 14. Februar, 2022 in Schäftlarn in Oberbayern. Auf der eingleisigen Strecke kamen sich zwei S-Bahnen entgegen und kollidierten. Der angeklagte 56-Jährige hatte am Unglückstag den Zug mit der Nummer 6785 gefahren.

Laut Anklage soll er sich vor dem Bahnhof Schäftlarn-Ebenhausen über eine Zwangsbremsung wegen zu hohen Tempos hinweggesetzt haben. Nachdem die Fahrgäste ein- und wieder ausgestiegen waren, soll er trotz rotem Haltesignal losgefahren sein. Doch das war noch nicht alles. Anschließend kam es wieder zu einer automatischen Zwangsbremsung - und auch die soll er ausgehebelt haben. 

Verspätete S-Bahn kommt auf eingleisiger Strecke entgegen - Schnellbremsung kann Crash nicht verhindern

Zeitgleich kam ihm auf der eingleisigen Strecke die verspätete S-Bahn mit der Zugnummer 6776 aus München entgegen. Deren Lokführer erhielt ebenfalls Rot und leitete eine Schnellbremsung ein. Sein Zug kam nach zusätzlicher Zwangsbremsung zum Stehen. Als der junge Lokführer noch mit dem Fahrdienstleiter telefonierte, um nach den Gründen zu fragen, kam ihm bereits die andere S-Bahn entgegen. Der angeklagte Lokführer leitete noch eine Schnellbremsung ein, doch das reichte nicht mehr - die Triebfahrzeuge krachten ineinander.

Junger Mann stirbt bei S-Bahn-Unglück in Schäftlarn

Ein 24 jähriger Mann starb, dutzende Fahrgäste wurden teilweise schwer verletzt. Dazu gehörten auch der Angeklagte und sein Kollege in der entgegenkommenden S-Bahn. Dass Letzterer überlebte, grenzt fast an ein Wunder. Denn sein Führerstand wurde bei dem Unfall völlig zerstört. Die Triebwagen der S-Bahnen wurden bei dem Crash teils aus den Gleisen gehoben, der Schaden belief sich auf sieben Millionen Euro.

Lokführer kann sich nach eigenen Angaben nicht an Unglück erinnern

Vor Gericht sagte der Angeklagte, dass er sich nicht an den Unfall erinnern könne. Er wisse nicht, warum er sich so verhalten habe. Trotzdem nahm er die Schuld auf sich. Zum Auftakt der Verhandlung im Februar gab er an, dass es ihm unerklärlich sei, wie das geschehen konnte. Er beteuerte mehrfach, dass es ihm leid tue. Dabei kämpfte er immer wieder mit den Tränen. 

Das wiederholte er auch am Donnerstag in seinem letzten Wort vor dem Schöffengericht München. "Es tut mir alles so wahnsinnig leid und ich würde es am liebsten ungeschehen machen", sagte der 56-Jährige unter Tränen. "Ich kann mich nur entschuldigen bei allen, die zu Schaden gekommen sind. Es tut mir leid."

Angeklagter galt als unauffällig, akkurat und pflichtbewusst

Der 56-Jährige ist ein gelernter Dreher. Erst ein dreiviertel Jahr vor dem Unfall legte er die Prüfung zum Triebfahrzeugführer ab. Damit habe sich ein Kindheitstraum erfüllt, sagte der Mann. Schon als kleiner Junge habe er Lokführer werden wollen. Seit Januar trägt er nun Post aus. 

Die ehemaligen Vorgesetzten des Angeklagten bei der Bahn stellten ihm vor Gericht ein grundsätzlich gutes Zeugnis aus. Er galt demnach als unauffällig, akkurat und pflichtbewusst.